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Hinweise auf sexuellen Missbrauch

Sexueller Missbrauch ist nicht auf bestimmte soziale Schichten oder von außen identifizierbare Familienkonstellationen oder -situationen beschränkt.

Obwohl jedes Kind gemäß seiner individuellen Geschichte und der gegenwärtigen Situation verschieden auf Missbrauchserlebnisse reagieren wird, gibt es doch eine Reihe von Hinweisen und Signale, die - bei entsprechender Bereitschaft der Umgebung sie wahrzunehmen - als typische „Hilferufe“ verstanden werden können. Sie alle sind Ausdruck der umfassenden Bemühungen des Kindes, die Missbrauchshandlungen psychisch zu überleben und irgendwie zu bewältigen.

Die jeweiligen Symptome, die ein Kind entwickelt, helfen ihm in gewisser Weise, einen inneren Ausgleich für die traumatischen Erlebnisse zu schaffen.

In dem Prozess, sich so mit der Missbrauchssituation einzurichten, dass sie „überlebt“ werden kann, lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden.

1. Phase

Am Anfang steht die Phase der Geheimhaltung und des Nichtverstehens der Vorgänge, in der das Kind die offene oder verdeckte Aufforderung des missbrauchenden Erwachsenen, zu schweigen, befolgt und das Geheimnis und seine Familie zu schützen versucht. Wird es in dieser Phase mit dem Thema konfrontiert, reagiert es mit Unbehagen, versucht abzulenken oder weigert sich, etwas zu sagen.

Nicht betroffene Kinder antworten dagegen auf entsprechende Fragen mit einem deutlichen Nein oder erklären sogar den Fragesteller für „verrückt“.

2. Phase

In der zweiten Phase überwiegt das Gefühl der Hilflosigkeit: Das Kind wird depressiv, hoffnungslos und verzweifelt. Die dem Missbraucher oder der Missbraucherin geltende Wut wird nach innen gerichtet, da das Kind keine Möglichkeit sieht, sich zu wehren. Es zieht sich in sich selbst zurück. Psychosomatische Beschwerden und Lernschwierigkeiten können die Folge sein. Besonders bei älteren Kindern und Jugendlichen kann es zu Suizidtendenzen kommen.

3. Phase

In der nächsten Phase der aktiven Akkomodation oder Anpassung überwiegt ausagierendes Verhalten wie Ausreissen, Aggressivität, kriminelle Handlungen, in der Pubertät und im Jugendalter auch Promiskuität, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Grundlage dieses Agierens sind häufig Spaltungsmechanismen und Bewusstseinsveränderungen, mit Hilfe derer das Kind versucht, in seiner Persönlichkeit einen missbrauchten und einen nicht missbrauchten Anteil zu unterscheiden oder seine Empfindungen von den körperlichen Erfahrungen des Missbrauchs abzutrennen. Es stellt sowohl den Versuch dar, auf sich aufmerksam zu machen und so vielleicht indirekte Hilfe von außen zu erlangen, gleichzeitig dient es der Befriedigung von Strafbedürfnissen, die aus der Teilnahme am Missbrauch erwachsen.

4. Phase

Erst in der vierten Phase wird es zögernd versuchen, den Missbrauch zu enthüllen, wobei in der Regel die Angst groß ist, dass die Familie in der Folge auseinandergerissen wird. Findet das Kind/der Jugendliche keinen Glauben, da es/er ohnehin schon als „Problem“ abgestempelt ist, das lügt, stiehlt, Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern unterhält und Schule oder Ausbildung schwänzt: also nicht glaubwürdig ist, kann es zu einer weiteren Anpassungsreaktion kommen: Das Kind nimmt die Beschuldigungen zurück!

Sexueller Missbrauch ereignet sich im Geheimen und ist im Allgemeinen nicht mit direkter physischer Gewalt verbunden. Daher gibt es offen sichtbare, eindeutige Anzeichen eher selten. Allerdings wird von den Experten zunehmend darauf hingewiesen, dass sexueller Missbrauch an Kindern als Ursache von Geschlechtskrankheiten, genitalem und analem Juckreiz, Entzündungen und nicht erklärbaren Verletzungen im Genitalbereich, ungeklärten Blutungen und Ausfluss, ungeklärten und wiederholten Harnwegsinfektionen, Fremdkörpern in After und Vagina, Blutergüssen („Knutschflecke“), besonders an den Innenschenkeln und am Gesäss oder Bauch, ungeklärter Schwangerschaft immer mit in Erwägung zu ziehen ist.

Falls ein Pädagoge eines oder mehrere solcher Auffälligkeiten bei einem Kind bemerkt, darf er jedoch keinesfalls in eigener Verantwortung tätig werden und versuchen, den vermuteten Missbrauchshandlungen auf die Spur zu kommen. Vielmehr sollte er stets im Auge behalten, dass jedes der genannten Symptome auch auf andere Vorkommnisse zurückgehen kann. Vor voreiligen Verdächtigungen ist deshalb ebenso zu warnen wie vor einer Leugnung des Problems. Im gegebenen Fall sollten unbedingt die entsprechenden Fachleute (Ärzte, Psychologen, Heilpädagogen - alle sollten speziell ausgebildete und anerkannte Spezialisten sein - hinzugezogen werden.

Handelt es sich überhaupt erst um vage Vermutungen, wird ein verantwortungsvoller Pädagoge sich in jedem Fall selbst umfassend bei Fachleuten informieren, ehe er weitere Schritte unternimmt und zum Beispiel seine Beobachtungen und Befürchtungen hinsichtlich eines bestimmten Kindes an Dritte weitergibt. Insofern geht es auch hier nur darum, allgemeines Wissen hinsichtlich der möglichen Folgen von sexuellem Missbrauch darzustellen.
Die Ausführungen sollten also nicht als Aufforderungen zum eigenen Eingreifen der Pädagogen missverstanden werden.

Für alle Altersstufen gilt, dass vor allem plötzliche, nicht weiter erklärbare Veränderungen im Verhalten, in der Leistungsfähigkeit oder in der Erscheinung des Kindes oder Jugendlichen Reaktionen auf traumatische Erlebnisse wie sexueller Missbrauch sein können.

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Senatsverwaltung Berlin zur Verfügung gestellt.